Hannah Georgas - 12.05.2014 - Kantine am Berghain

Hannah Georgas

Hannah Georgas

Support: Phia

 

„Ich möchte auf Reset drücken“, singt Hannah Georgas in „Robotic“, der ersten Single von ihrem selbstbetitelten neuen Album. Genau das hat sie getan. Vor einigen Jahren, als Georgas mit ihrer Gitarre durch die Musikszene Vanvouvers streifte, wurde sie gerühmt für ihre akustische Klarheit. Dann folgten die verschlungeneren Produktionen ihrer kraftvollen Aufnahmen, die, in Kombination mit ihrer köstlich süßen Stimme, ihr eindeutige Vergleiche mit Kanadas größtem Musikexport Feist bescherte. Nun findet sie mit „Hannah Georgas“ spannende neue Wege, um ihre essenzielle Singer- /Songwriter-Sensibilität mit ausgefuchsten Studio-Soundscpaes zu vermählen, während sie gleichzeitig den Aspekt der Spielfreude deutlich erhöht. Es ist ein Album voll reichem, emotional aufgeladenem Synthie-Pop, der keine Angst besitzt, auf dem feinen Grat zwischen Vintage-New Wave und zeitgenössischer Transzendenz voller gefühlvoller Kopfreisen zu wandeln.


Tief in der Elektronik, aber nicht der Electronica verwurzelt, schlägt „Hannah Georgas“ einen Bogen zurück in die Zeit, als eine gute Hookline noch eine ‚New Order’ des Tages war und menschliche Emotionen – oder ‚Human Leagues’ – den Tag bestimmten, auch wenn die darunter liegenden Texturen eindeutig synthetische Züge trugen. Ihre einzige Begleitung auf diesem Weg der Neubestimmung war Produzent Graham Walsh, Mitglied der gefeierten Kanadier Holy Fuck, der ihre Sehnsucht nach einem Sound teilte, der aus Vintage-Keyboards entsteht.


„Graham ist ein Genie im Programmieren und Kreieren der unteschiedlichsten Synthie-Klänge“, sagt Georgas. „Wir wollten ein Album machen, bei dem all diese Sounds ein neues Leben bekommen und in einem Live-Setting funktionieren. Ich kam zu Graham mit meiner Gitarre, und er brachte seinen OP-1, seinen Moog und viele andere Synthies und Pedale mit. Wir jammten, saßen fast drei Wochen lang gemeinsam in einem Raum für die Vorproduktionen. Mein voriges Album war in Sachen Instrumentierung komplexer, dieses mal wollte ich alles weniger durchgeplant und frei haben – ich wollte, dass das Album mehr Raum erhält, damit die Dinge atmen können. Ich habe mich stark auf die Melodien fokussiert und dafür gesorgt, dass ihnen nicht zu viel im Weg steht. Währenddessen verhielt sich Graham wie ein Wisenschaftler, der unglaubliche Klänge kreiert.“ So entstand ein Album, das zu gleichen Teilen simpel und feudal klingt.


Die Produktion des Albums teilte sich in zwei Phasen auf, unterbrochen durch eine viermonatige Tour mit Kathleen Edwards. Auf dieser Tournee war sie nicht nur das Vorprogramm, sondern obendrein Teil der Backing Band von Edwards. „Teil ihrer Band zu sein und gleichzeitig jeden Abend mein eigenes Set zu spielen war eine unglaublich wichtige Erfahrung“, erzählt Georgas. „Diese Dualität ist das Beste, was man als Künstler erfahren kann. Kürzlich spielte ich eine Show in Vancouver, und ein Freund meinte: ‚Du hast dich enorm entwickelt, seit ich dich zuletzt live sah. Unglaublich, was für Tour-Skills du mittlerweile besitzt.’ Es stimmt, ich fühle mich am Mikro ebenso viel besser wie an den Instrumenten – das alles entspringt jetzt viel tiefer aus mir heraus.“ 


Georgas verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Newmarket, Ontario und zog im Alter von 20 nach British Columbia. „Ich stamme aus einer großen Familie und habe drei Schwestern, also brauchte ich eine Zeit, um mein Gehirn frei zu bekommen und einen Ort zu finden, der sich wirklich nach ‚mir’ anfühlt“, erklärt sie. Während eines vorübergehenden Psychologiestudiums in Victoria stieß sie auf die vitale Musikszene Vancouvers, wo sie nun seit fünf Jahren lebt. Ihre eher pragmatisch veranlagte Familie versuchte sie zunächst, von ihrem musikalischen Pfad abzubringen, aber für sie gab es keinen anderen Weg: „Ich bin zwar ein wenig schüchtern, wenn es um Interviews und solche Dinge geht; aber Auftreten und Singen ist für mich eine höchst natürliche Sache.“


Mit dem voran gegangenen Album „This Is Good“ konnte sie nicht nur begeisterte Kritiken einheimsen, in denen ihre außergewöhnliche Stimme und ihre hervorragenden Qualitäten als Songwriterin gefeiert wurden; sie gewann 2011 außerdem den XM Verge Music Award als  „hoffnungsvollste Künstlerin des Jahres“, das Album selber erhielt den Polaris Music Prize. Und auch bei den Juno Awards war sie nominiert in den Kategorien „Best New Artist“ und „Songwriter of the Year“. 
Auch wenn ihre jüngsten Kompositionen äußerst persönlich sind, trägt Georgas nicht zwingend ihr Herz bei jedem Song unmittelbar auf der Zunge. Manche Songs – wie „Shortie“, ein luftiger Pop-Tune – hat inhaltlich überhaupt nichts mit ihr zu tun, andere wiederum weisen präzise in die Richtung des selbstbetitelten Albums, hinter dem man eine kraftvolle Selbstdefinition erwartet. Wie etwa „Ode to Mom“, ein Song über den Tod ihres Vaters, der vor einigen Jahren verstarb. Titel wie „Millions“, „Elephant“ und „Waiting Game“ konzentrieren sich auf die Lebensziele einer gereiften 28-Jährigen. 

 

„Es gab viele Phasen, in denen ich mich verletzlich und ängstlich fühlte“, sagt sie. „Manchmal nervt mich diese Sensibilität, es wäre schön, weniger intensiv darüber nachdenken zu müssen, warum ich über alles so viel nachdenken muss“, lacht Hannah. „Aber wenn es so wäre, wäre ich vielleicht keine Musikerin geworden.“ Und sie hätte dann wohl auch kein Album kreieren können, das derart dominiert ist von elektronischen Klängen, zugleich aber vollkommen unmaschinell klingt. Auch wenn vieles auf dem Album das Resultat gekonnten Programmierens ist, ist das das Herz der Platte ebenso schön und gefühlvoll wie die ersten akustischen Auftritte Hannahs in den Folk-Clubs von Vancouver. Der Geist in der Maschine dieses Albums ist zart, scharfsinnig, frech und durch und durch menschlich.